Die Zufriedenheit der Bürger mit der Demokratie ist seit 2019 konstant, obwohl eine Krise die andere ablöst.

Das bedeutet aber auch, dass die Corona Pandemie und der Ukraine Konflikt kaum Auswirkungen auf die Einschätzung der Bürger hatte. Erinnert man sich an die Turbulenzen in den sozialen Medien scheint das fast unglaublich. Immer wieder gibt es kritische Stimmen hinsichtlich zahlreicher Gefahren für die Demokratie. Skandale, Konflikte und Unsicherheiten scheinen die Einstellung zur Staatsform Demokratie kaum zu berühren.

Die Zufriedenheit mit der Demokratie in ausgewählten Zeiträumen, ausgehend vom Jahr 2019

Quelle: Die obigen Grafiken wurden erstellt mit Daten von Statista.de (1)

Die zitierten Umfrageergebnisse stehen in zeitlichen Zusammenhängen. Nutzt man als Ausgangspunkt das Jahr 2019, sind hier 18 Prozent der Befragten sehr zufrieden, 56 Prozent sind zufrieden und 20 Prozent sind nicht sehr zufrieden, 5 Prozent sind sogar überhaupt nicht zufrieden. 2020 ist die Pandemie ausgebrochen, Deutschland erlebte eine anstrengende und schwierige Zeit. Obwohl die Schelte an den Politikern nicht abriss, blieben die Zahlen fast identisch (15 57 21 6). Im ersten Corona Winter, in dem Verschwörungstheoretiker als Gefahr für die Demokratie eingeschätzt wurden, ging der Anteil der „ziemlich zufriedenen“ kurzfristig auf 52 Prozent zurück, er erholte sich allerdings schnell wieder, um vom Frühjahr 2021 einen Wert von 57 Prozent oder höher einzunehmen. Mit Ausbruch des Krieges gegen die Ukraine zeigte sich ein ähnliches Bild. Energiekrise, Benzinpreissteigerung, Flüchtlinge konnten bei den Umfragewerten keine Veränderung bewirken. Lediglich der Anteil derer, die „nicht sehr zufrieden“ waren, hat sich bis zum Frühjahr 2023 auf 26 Prozent erhöht, der Anteil der Unzufriedenen stieg von 5 auf 8 Prozent. Es lohnt sich, einen Blick auf weitere Zahlen zu lenken. Im Zeitraum von 2019 bis 2023 gewann die AfD in Bayern, Hessen, Brandenburg, Sachsen, Niedersachsen und Thüringen bei Landtagswahlen durchschnittlich 11 Prozent. Die abgegebenen Stimmen korrelieren nicht mit den Zahlen der eher unzufriedenen Bürgerinnen und Bürger. Die Haltung zur Demokratie scheint nicht der relevante Faktor für den Stimmenzuwachs der AfD zu sein.  

In einer Demokratie kommt es zu Wanderungen der Wähler zwischen den Parteien

Betrachten wir die Wanderungen der Wähler, fällt auf, dass bei der Landtagswahl in Thüringen 2019 allein 13.000 Wähler zur AfD gewandert sind, die vorher keine der großen Parteien gewählt hatten. 16.000 Wähler hat die Linke an die AfD verloren, 36.000 Stimmen musste die CDU hergeben und 7.000 die SPD. Das ist eine Wanderung, die sich offensichtlich als Reaktion auf die Arbeit der bisher gewählten Partei werten lässt. (2)

Bei der Europawahl 2019 sah es anders aus. Hier hat die AfD besonders davon profitiert, dass Wähler von CDU, SPD und Linke zur AfD gewandert sind, an die Grünen, die Nichtwähler und an die kleineren. Anderen Parteien hat die AfD Stimmen verloren.

Die Mobilisierung derer, die vorher keine der großen Parteien für Europa gewählt hatten, hat nicht geklappt.  Im Thüringischen Landtag war das der große Erfolg der AfD. (3)

2020 in Hamburg schwächt sich die Wählerwanderung bezüglich der AfD ab.

Die Bundestagswahl 2021 bildetet inmitten einer krisengeschüttelten Zeit ab, dass die AfD Stimmen an die meisten Parteien verloren hat, eine Ausnahme bildet die Linke.

Die Landtagswahl 2023 zeigt eine starke Wanderung der Wähler aus nahezu allen Parteien in Richtung AfD. Hier kann die Alternative für Deutschland wieder als Motivator für Nichtwähler und Wähler anderer Parteien als der vier großen punkten. Außerdem gelang ihr die Aktivierung von 50.000 Nichtwählern. Sie verliert 30.000 Stimmen an die Freien Wähler und keinen Wähler an eine der anderen Parteien. Alle anderen Parteien verlieren dagegen Wähler an die AfD. Bei der Aktivierung von Nichtwählern steht die AfD in Bayern an zweiter Stelle mit 130.000 hinter der CSU, die 180.000 Nichtwähler an die Urnen locken konnte. (4)

Die Landtagswahl in Hessen 2023 beschert der AfD fast 160.000 Stimmen, Wähler aller Parteien wandern ab. Einen großen Teil der Stimmen, nämlich 64.000, gewinnt die AfD aus den Bereichen „Andere“ und „Nichtwähler“. (5)

Fazit:

Nicht die Krisen lassen die AfD erstarken, sondern offensichtlich die Unzufriedenheit mit anderen Parteien. Die AfD könnte damit als Kraft gesehen werden, die den Unzufriedenen Raum gibt. Es ist aber nicht die Unzufriedenheit mit der Demokratie, sondern mit der Arbeit der etablierten Parteien. Diese erfüllen, betrachtet man das Zahlenmaterial, die Erwartungen ihrer eigenen Wähler nicht so, dass eine Bindung entstehen kann. Ein zweiter wesentlicher Faktor liegt darin, dass die AfD Splittergruppen, die sich auf Kleinparteien verteilen, binden kann. Außerdem gelingt es ihr wie kaum einer anderen Partei, die Nichtwähler zu motivieren. Das ist bedenklich, denn Nichtwähler, die bisher keinen Reiz darin sahen, sich an einer demokratischen Wahl zu beteiligen, werden von der AfD offensichtlich erfolgreich angesprochen. Beachtet man, dass die Stärkung der Demokratie und die Teilhabe an Demokratie für alle Parteien ein Auftrag und auch ein Teil der Daseinsberechtigung ist, kommt man zweifelsfrei zu der Frage, warum diese Aufgabe nicht erfüllt wird? Vielleicht liegt es daran, dass die Verantwortlichen in Talkshows und Interviews gern auf einen Sündenbock wie Pandemie, Energiepreise, Migration verweisen, statt selbstkritisch zu hinterfragen, wie ihnen Arbeit in und für Demokratie gelingt. Ist die Stärkung der Demokratie und die Nähe zum Bürger, also ihrem Wähler und Auftraggeber, noch das Ziel oder geht es vielen nur darum, einen lukrativen Job mit gutem Gehalt zu haben? Bei allem kindischen „Mir denen rede ich nicht“, sollte endlich klar sein, dass man lernen kann und muss. Und die AfD kann etwas, was die anderen dringend lernen müssen. Jede Partei hat nach § 1 Absatz 2 PartG die folgenden Aufgaben:

  1. Parteien nehmen Einfluss auf die Gestaltung der öffentlichen Meinung.
  2. Sie fördern die Teilnahme von Bürgern am politischen Leben,
  3. Parteien sollen zur Übernahme öffentlicher Verantwortung befähigte Bürger heranziehen.
  4. Sie beteiligen sich an Wahlen in Bund, Ländern und Gemeinden durch Aufstellung von Bewerbern.
  5. Sie nehmen auf die politische Entwicklung in Parlament und Regierung Einfluss.
  6. Parteien sorgen für eine ständige lebendige Verbindung zwischen dem Volk und den Staatsorganen. (Bundesministerium des Innern und für Heimat)

Die Zahl der Nichtwähler wird seit stetig 1949 (1990) größer. Das bedeutet, dass es den Parteien nicht mehr gelingt, den Wert an einer demokratischen Teilhabe über Wahlen zu vermitteln. Das kann nicht auf Bürger und insbesondere Nichtwähler abgewälzt werden. Wie in der Wirtschaft muss auch in der Politik eine Zielgruppenanalyse erfolgen. Und die Zielgruppe muss „Bürger in einer Demokratie heißen“, nicht Lobbyisten, sichere Wähler oder Interessengruppen. In diesem Punkt darf sich die Arbeit der verschiedenen Parteien nicht gravierend unterscheiden, denn es geht nicht etwa um eine Fanbetreuung in einer Parteienliga, sondern um die Demokratie als höheres Gut. Dem Parteiengesetz sind alle Parteien unterworfen. Die Nichtwähler nicht zu berücksichtigen bedeutet, Bürgerinnen und Bürger auszugrenzen. Dann kann und darf nicht politisches Handeln sein. Zu behaupten, dass eine Bürgergruppe dumm sei und nur auf Populismus reagiere, ist zu einfach. Schließlich ist auch Bildungspolitik, insbesondere politische Bildung, ein Aufgabenbereich der Politik unter den Rahmenbedingungen der Kultur- bzw. Bildungshoheit der Länder.

(1) statista.com https://de.statista.com/statistik/daten/studie/153854/umfrage/zufriedenheit-mit-der-demokratie-in-deutschland/

(2) infratest dimap, zitiert von Tagesschau.de https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2019-10-27-LT-DE-TH/analyse-wanderung.shtml

(3) infratest dimap, zitiert von Tagesschau.de https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2019-05-26-EP-DE/analyse-wanderung.shtml

(4) infratest dimap, zitiert von Tagesschau.de https://www.tagesschau.de/inland/waehlerwanderung-bayern-104.html

(5) infratest dimap, zitiert von Tagesschau.de https://www.tagesschau.de/wahl/archiv/2023-10-08-LT-DE-HE/analyse-wanderung.shtml

(6) Bundesministerium für Heimat, https://www.bmi.bund.de/DE/themen/verfassung/parteienrecht/aufgaben-rechte-pflichten/aufgaben-rechte-pflichten-artikel.html

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