MitholzExponat zum Start der Ausstellung Foto: Stefanie Glaschke

Am 19. und 20. Dezember 1947 ereignete sich eine verheerende Explosionskatastrophe in Mitholz, einem kleinen Dorf im Kanton Bern, Schweiz. Die Explosion geschah sich in einem ehemaligen Munitionsdepot aus dem Zweiten Weltkrieg, das zur Lagerung von Munition genutzt wurde. Als Folge der Explosionen wurden zahlreiche Gebäude zerstört. Es gab neun Todesopfer, sieben Personen wurden verletzt.

Es handelt sich um einen der größten künstlichen Explosionen weltweit, die nicht durch Atomwaffen verursacht wurden.

Chaos
Chaos

Auch die Station Blausee-Mitholz der Löschbergbahn wurde zerstört. Im Anschluss wurde das Depot teilweise neu aufgebaut, um es als Lager und zur Truppenunterkunft zu nutzen.

2018 wurde im Rahmen einer Prüfung festgestellt, dass das Risiko einer erneuten Explosion sehr hoch sei. Aus diesem Grund soll Mitholz nun für einen Zeitraum von 15 Jahren von den Einwohnern verlassen werden. In dieser Zeit sind Arbeiten zur Sicherung der Region geplant.

Mitholz als Thema einer Ausstellung

Das Alpine Museum der Schweiz in Bern zeigt eine Ausstellung zu den Ereignissen in Mitholz. Die Ausstellung beginnt mit einem historischen Überblick. Sehr anschaulich und mit emotional ansprechenden Exponaten werden die Besucher eingeladen, sich auf das Thema „Verlust des Heims“ einzulassen. Nicht nur Bilder von zerstörten Gebäuden, sondern auch Aussagen von Betroffenen werden zur Verfügung gestellt. Damit wird eine Brücke zwischen den Erfahrungen der Mitholzer und den Lebenskontexten der Besucherinnen und Besucher gebaut. Kaum jemand wird sich der Frage erwehren können: „Wie hätte ich diese Katastrophe erlebt?“

Wie viele Risiken können die Einwohner von Mitholz tragen?

In den 1950-er Jahren war durch zahlreiche Hilfsaktionen das meiste wieder aufgebaut. Die Toten haben eine Lücke hinterlassen. Lücken sind in kleinen Gemeinschaften wie einem Dorf immer sichtbarer als in großen Gruppen. Man hätte meinen können, die Explosion würde ihren Eingang in die Dorfgeschichte finden und dort ruhen. Doch weit gefehlt. Die Ausstellung führt die Gäste in die Gegenwart, ins Jahr 2018. Denn zu diesem Zeitpunkt wird klar, dass Mitholz ein Pulverfass ist. Die Explosionsgefahr ist keinesfalls gebannt. Besucherinnen und Besucher werden mit der Frage konfrontiert, wie der richtige Umgang mit Risiken aussehen sollte.

Mitholz ist noch nicht Geschichte

Heute gibt es neue Entwicklungen rund um das kleine Dorf in der Schweiz. Bewohner der Risikozone müssen das Dorf verlassen. Die Explosionsgefahr soll gebannt werden.

Bis 2025 müssen sich die Familien ein neues Zuhause suchen. Ab 2030 beginnen die Arbeiten vor Ort. Der Zeitplan sieht vor, dass die betroffenen Gebiete ab 2040 wieder bewohnt werden können. Die Ausstellung zeigt die Frage „Kannst du dich ins Jahr 2040 denken?“

Heimat bedeutet auch Gemeinschaft

Die Bewohner des kleinen Bergdorfes können selbstverständlich auch an anderen Orten ihre physische Existenz gestalten. Doch ein Zuhause ist mehr als ein Haus. Es bedeutet auch, feste Gemeinschaften zu erleben, Rituale zu feiern, sich auszukennen. Die Soziologin Jutta Allmendinger erklärt in einem Interview von 2019, dass Menschen ein Wir-Gefühl besonders wichtig sei. Dazu gehöre auch der Begriff Heimat, der als Verbundenheit gesehen wird. Trotz Globalisierung brauchen Menschen offensichtlich diesen einen Ort, an dem sie sich wohlfühlen können. Allmendinger, die selbst weit herumgekommen ist, erklärt, dass es für sie einen Unterschied macht, ob jemand seine Heimat verlassen muss, oder ob er freiwillig in die Welt zieht. Wer selbst entscheidet, eine neue Heimat zu suchen, kann das besser integrieren als jemand, der gezwungen wird, zu gehen. Die Menschen aus Mitholz werden gezwungen. Sie geben ihrer Not in der Ausstellung einen Ausdruck. Damit ist die Ausstellung auch Teil des Verarbeitungsprozesses. Mitholz ist noch nicht fertig. Die Gäste erleben auf sehr eindrucksvolle Weise, wie die Menschen mit ihrem Schicksal umgehen. Durch Empathie kann der Prozess der Mitholzer Bürgerinnen und Bürger für alle zu einem Akt der Reflektion und der Reifung werden.

Was bedeutet Heimat für mich?

Als Mensch, der sich nicht gern an einen einzigen Ort bindet, habe ich mich gefragt, was Heimat für mich bedeutet. Aufgewachsen bin ich in der Tradition der Flüchtlingsfamilien aus der Zeit des zweiten Weltkriegs. Sind meine Vorfahren je heimisch geworden? Konnten sie mir Heimat vermitteln? Was erleben Menschen, wenn sie ihre Kinder umschulen müssen? Wenn die Wege zur Arbeit und zum Einkaufen sich ändern? Wenn die Nachbarschaften zerrissen werden? Was hängt alles dran am kleinen Wörtchen „Heimat“?

Die Ausstellung:

Alpines Museum der Schweiz
Helvetiaplatz 4
3005 Bern

Verwendete Quellen:

Alpines Museum in der Schweiz

Prof. Dr. Jutta Allmendinger, Soziologin und Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung (WZB) im Interview mit Martin Orth

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